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Das Prinzip Mauerfall

Wie Pflegekräfte sich aus dem Pflegenotstand befreien können

Alles unterliegt einem ständigen Wandel. Wir wir uns als Gesellschaft sehen, wie unsere Kultur ist, unser Selbstverständnis in Zeiten der Globalisierung. Wir halten das für unsere Wirklichkeit. Gelebte, kollektive Realität. Die ist geprägt von den unbewussten Abmachungen zwischen den einzelnen Menschen. „Regeln“, die wir so nie aussprechen. Die so kreierte Realität ist jedoch nur so lange wirksam, bis wir etwas anderes abmachen und stillschweigend vereinbaren. Erst so ist eine Veränderung überhaupt möglich. Das war beim Mauerfall so und das ist im Pflegenotstand so.

  1. Wie Pflegekräfte sich aus dem Pflegenotstand befreien können
  2. Berlin 1989
  3. Pflege Oktober 2023
  4. Der Pflegenotstand hört auf, weil wir anders denken
  5. Der Artikel zum anhören

Berlin 1989

Anfang 1989 war ein Berlin ohne Mauer unvorstellbar. Dass die Mauer fallen könnte, war immer nur eine kühne Vorstellung manch unverbesserlicher Träumer und verrückter Spinner.

Matthias lebte im Ostteil Berlins. Es ist März 1989 und die im Westteil aufgehende Sonne ließ die ostdeutsche Seite noch grauer erscheinen.

Matthias lebte in einer Plattenbausiedlung. Seine Wohnung war gut eingerichtet, auch wenn das bei weitem nicht dem Standard entsprach, den man so im Westfernsehen sah. Doch es reicht zum leben – irgendwie. Er ging in die Küche und stellte den Pfeifenkessel auf. Eine Tasse Kaffee braucht er schon am Morgen. Doch heute musste er auf Milch verzichten. Davon gab es gestern im Konsum keine mehr. Aber das war ja normal. Es fehlte oft an Nahrungsmitteln. Der Mangel fing mit Fleisch an und hörte mit Kartoffeln auf.

Wie jeden Arbeitstag packte er seine Stulle ein und fuhr mit der Straßenbahn zur Arbeit. Das war das VEB Schuhkombinat Banner des Friedens. Hier schnitt er Einlegesohlen für DDR Schuhe. Im Pausenraum traf er einige Kollegen und es entspann sich eine Diskussion.

„Du liebe Güte! Habt ihr mitbekommen, was in Leipzig los ist? Diese sch… Demonstranten sollten besser ihre Schnauze halten. Wenn die so weiter machen kommt gleich Brüderchen Russland und walzt uns um. Versteht ihr nicht? Der Russe macht doch mit der kleinen DDR kurzen Prozess! Das will doch keiner?!“

„Ach quatsch“ entgegnete Katrin. „Ich hoffe eher, dass Gorbatschow uns hilft. Meint ihr nicht? Der ist doch ziemlich liberal?!“

„Glaube ich nicht. Als ob der was machen könnte. Der guckt doch auch nur, dass er sich mit den Amis, den Engländern und den Franzosen nicht verscherzt. Der muss doch schließlich das ganze Öl durch die Druschba Pipeline irgendwohin verkaufen. Der macht auch nichts.“

„Man müsste einen Aufstand proben. All unseren Mut zusammen nehmen. Aber hier weißte ja auch nicht, wem du überhaupt vertrauen kannst. Hier kann ja jeder dein Feind sein.“

„Ich sag euch mal was. Das ist alles ganz schön aussichtslos. Es wird sich nie was ändern. Deswegen machen wir auch bald rüber. Der Antrag läuft schon.“

09. November 1989

Wieder stehen alle im Aufenthaltsraum der VEB Schuhfabrik. Die Stimmung ist aufgeheizt, denn Maren hatte gerade in der Pause Besuch von ihrer Schwiegermutter. Die erzählte, dass man über die Grenze könne ohne Visum. Es gab da wohl eine Presskonferenz. Da habe man das verkündet.

Das konnte sich keiner vorstellen. Niemals. Das ist ein großer Irrtum. Das kann doch gar nicht sein. Das würde keiner mitmachen. Es herrscht Verwirrung und emotionales Chaos.

Alle verließen das Werk heute überpünktlich und alle zog es zur Grenze. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. So viele Menschen. So viel Verzweiflung neben all dem Frohsinn und Lachen. So viel Chaos. Die Grenzpolizei versuchte die Meute irgendwie in den Griff zu bekommen. Auch hier ein Chaos. Soll ich schießen? Stimmt das, das alle reisen dürfen? Das kann doch gar nicht sein? Wir warten auf Befehle! Doch die Stimmung ist aufgeladen. Soll ich meinen Posten verteidigen oder doch nicht einfach weichen? Und überhaupt: Ich will doch auch endlich offene Grenzen. Soll ich mich jetzt also freuen oder muss ich meine Maske noch anbehalten?

Und überhaupt: Haben denn alle den Verstand verloren?

Alle sagten: Das geht nicht.
Dann kam einer, der wusste das nicht und
hat´s einfach gemacht.

Verfasser unbekannt

Dann öffnete sich der Schlagbaum. Lachende, feiernde Menschen übertraten die Grenze und fielen sich weinend in die Arme. Freiheit. Trabbis knatterten zum ersten mal in einem fröhlichen Ton. Es war als würde Hoffnung, Zuversicht und Leichtigkeit bunte Konfetti in die Nacht schmeißen. Die gesellschaftliche Hypnoseblase von jahrzehntelangem „Das wird sich niemals ändern“ zerplatzte. Einfach so. Irgendeiner wird in dieser Nacht den Anfang gemacht haben, daran zu glauben, dass sich alles ändern kann. Ganz real und in Wirklichkeit. Er sagte das so nicht. Er handelte einfach anders. Vielleicht ging er einfach auf einen Wachmann zu. Ohne Angst dieses mal. Weil er wusste es kann sich ändern. Diese Haltung sprühte unsichtbare Funken in die Luft und immer mehr machten mit.

Es war, als habe ganz Berlin in dieser Nacht beschlossen, nicht mehr an die den Fortbestand der Mauer zu glauben. Und genau damit hörte die Mauer auf zu existieren. Nur durch andere Gedanken wurde das möglich, was Monate zuvor noch keiner glaubte. Das war ein echter Shift. Ein echter Realitätswandel. In einer einzigen Nacht, nur durch anderes Denken.

Pflege Oktober 2023

Es ist 5.00 Ihr morgens. Unsanft zerrt das Schrillen des Weckers Katharina aus dem Schlaf. Sie hat heute Frühdienst. Schon wieder. Das ist ihr zehnter Tag Frühdienst ohne einen freien Tag zwischendurch. Müde streckt sie die Beine aus dem Bett. Sie muss vorsichtig sein. Eine falsche Bewegung und die Rückenschmerzen sind wieder da. Das kann sie jetzt alles nicht gebrauchen. Sie sind eh schon die ganze Zeit unterbesetzt.

Sie fährt zur Arbeit. Das ist ein Altenheim ein bisschen außerhalb der Stadt. Zehn Jahre ist sie jetzt Fachkraft und es ist auch ihre zehnte Stelle. Immer war irgendetwas nicht richtig. Immer war zu wenig Personal da und immer hatte die Leitung einfach keine Ahnung wie man Dienstpläne anständig schreibt und Mitarbeiter führt. Es gab meistens keine Wertschätzung und die Mitarbeiter waren sich spinne feind. Ständig musste man einspringen. Katharina hatte gehofft, dass es hier in dem kleinen Heim besser wäre. Aber da glaubt sie ja auch schon nicht mehr dran.

Nach den üblichen Diskussionen wer zu viel und wer zu wenig arbeitet, macht sie sich an ihre Arbeit. Sie ist schon jetzt kaputt. Sie hat schon jetzt keine Lust mehr. Wer bitte soll es denn auch schaffen? Zwölf Menschen pflegen. Alleine sechs davon bis zum Frühstück. Wieso Gisela ihr keinen mehr abnehmen konnte, versteht sie auch nicht. Aber Gisela war ja schon immer egoistisch.

Irgendwo zwischen Pflege und Mittagessen treffen sich alle auf dem Balkon. Es entspann sich folgendes Gespräch:

„Mein Gott bin ich fertig! Kommt doch wirklich Frau Leber aus Zimmer elf, drückt mir mitten auf dem Flur eine Nagelschere in die Hand und verlangt, dass ich ihr auf der Stelle die Fingernägel schneide. Als ob!“ Katharina zeigt allen einen Vogel. „Ey soll die doch mal ganz ruhig sein. Die ist die Fitteste hier. Die kann mal schön warten. Letzte Woche habe ich ihr erst die Füße eingecremt. Das macht die sonst auch selber. Also Dankbarkeit und Wertschätzung sieht echt anders aus.“

„Du liebes bisschen Kathi!“ sagte Rolf. „Wenn du auf Wertschätzung wartest, bist du im falschen Beruf. Hier gibt’s keine Wertschätzung. Weder von Frau Leber, noch von deren Tochter. Auch nicht von der Chefin und erst recht nicht von der Gesellschaft und der Politik. Ich bin seit über zwanzig Jahre in der Pflege. Ich weiß wovon ich spreche.“

„Ja Mensch wir müssten uns mal endlich wehren. Ne Demo, ein Streik irgendwas, wovon Politik und Gesellschaft mal endlich wach werden. Die haben doch überhaupt keine Ahnung, was wir hier alles leisten. Die gucken nur, dass es ihnen gut geht.“

„Na aber komm unter dem Gröhe als Bundesgesundheitsminister ist doch ganz schön viel passiert. Zum Beispiel wurde mal richtig Geld in die Hand genommen. Seit dem gibt es das Strukturmodell, damit wir nicht mehr so viel schreiben müssen.“

Lena fängt an zu lachen. „Also ob das geholfen hätte. Ich schreibe gefühlt mehr als vorher. Und der MDK hat bei den Qualitätsprüfungen auch immer mehr zu meckern.“

„Merkt ihr nicht? Das bringt doch alles nichts. Das war in der Pflege schon immer so. Akkordpflege, zu wenig Leute, zu wenig Gehalt und zu wenig Anerkennung. Das ist alles nichts neues. Das wird sich erst ändern, wann mal der richtige Kasper im Ministerium sitzt. Und daran kann keiner was machen .- außer wählen gehen.“

Zwischen Reiz und Reaktion liegt der Raum der inneren Freiheit. Die Größe dieses Raumes wird durch unsere eigene Haltung bestimmt.

Viktor Frankl

Der Pflegenotstand hört auf, weil wir anders denken

Alle stimmen zu. Alles ist schwer. Schade. Heute Nachmittag werden sie zu Hause erzählen, wie schwer es ist, in der Pflege zu arbeiten.

Der Fall der Berliner Mauer lehrt uns, dass es möglich ist die Realität zu ändern und sie neu zu deuten.

Meine Realität ist schon lange anders. Ich habe aufgehört gegen den Notstand anzukämpfen. Es gibt keine Forderungen oder Erwartungen, dass irgendjemand mal anfängt, es gut werden zu lassen. Ich selbst mache es gut. Jeden Tag, an dem ich arbeiten gehe, genieße ich, was ich tue. Meistens. Und wenn mal was kommt, was mich dazu verführt dagegen zu sein, weiß ich doch, dass dies meine Chance ist daran zu wachsen und mich zu entwickeln. Das ist dir ganz kurze Form. Doch es reicht, um zu behaupten, dass ich anfange meinen Mikrokosmos mit Freude am Beruf zu füllen und zwar völlig unabhängig davon, was gerade wieder mal fehlt oder doof ist.

Und so möchte ich ein Vorbild sein. Ich möchte die sein, die auf den Grenzposten zuging. Alle haben gespürt, dass es nur besser werden kann und haben die Grenze passiert. Mit Freude, mit Hoffnung und Zuversicht und dem tiefen Vertrauen, dass wir selbst den ganzen Mangel hinter uns lassen können. Über Nacht. Einfach weil wir nur anders denken und uns folgerichtig anders verhalten.

Wir werden mehr Spaß haben wie Stress.

Annett Wagner

Wir werden uns befreien von der Schwere des Mangels an allen Ecken und Kanten. Wir werden mehr Spaß wie Stress haben. Leichtigkeit verbreitet sich. Wir entspannen das ganze System und haben so plötzlich wieder Zugriff auf unsere enorme Kreativität, selbst Lösungen auf all die Fragen zu finden und neue Wege zu gehen.

Wir haben es verdient. Schon lange. Und du weißt das auch.

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